Interview (2015)

  • „Die wichtigste Fähigkeit
    eines Schiedsrichters besteht
    darin, ein Verfahren
    effizient und schnell zu
    Ende zu führen.“Dr. Dirk-Reiner Martens († 2019) im Interview

Sie waren Senior Partner in einer großen internationalen Wirtschaftskanzlei. Warum haben Sie 2009 ihre eigene Kanzlei eröffnet?

Dr. Dirk-Reiner MartensIch war auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Es ging mir darum, in kleinerer Besetzung vor allem in meinen Spezialgebieten Schiedsgerichtsbarkeit und Sportrecht tätig zu sein. In meiner früheren Kanzlei konnte ich umfangreiche Erfahrungen im Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht sammeln. Ich habe Unternehmenskäufe und -zusammenschlüsse abgewickelt, internationale Gerichtsprozesse und Schiedsverfahren verhandelt und Teams von Anwälten beim Legal Management großer Transaktionen geleitet. Aber die Schiedsgerichtsbarkeit und das Sportrecht haben mich immer besonders interessiert. Ich habe ein kleines Team zusammengestellt und irgendwann beschlossen, mit diesen jungen Kollegen eine eigene Kanzlei zu gründen. Ich wollte herausfinden, wie ich ein Unternehmen nach meinem Geschmack aufbauen kann, mit weit jüngeren Mitarbeitern und einem starken Team-Gedanken. Ich fühle mich noch nicht alt genug, um im Ruhestand nur Zeitung zu lesen und Cappuccino zu trinken. Mein Beruf macht mir so viel Spaß, das würde ich vermissen.

Schiedsgerichtsbarkeit und Sportrecht – wie passt das zusammen?

Dr. Dirk-Reiner MartensZunächst einmal handelt es sich bei der Schiedsgerichtsbarkeit um eine heute weitverbreitete und anerkannte Methode zur Beilegung wirtschaftsrechtlicher Streitigkeiten mit vielen Vorteilen: kürzere Dauer der Verfahren, geringere Kosten, Vertraulichkeit, prozessuale Flexibilität sowie international einfachere Vollstreckung. Nicht alle dieser vermeintlichen Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit sind in gleichem Maße zutreffend, in der Regel bietet die Schiedsgerichtsbarkeit aber eine attraktive Alternative zu herkömmlichen Methoden der Konfliktlösung, vor allem bei Streitigkeiten im internationalen Kontext – und das gilt sowohl in der Wirtschaft als auch im Sport, der im Profibereich ja auch sehr international ist. Damit habe ich mich schon sehr früh im Rahmen meiner anwaltlichen Tätigkeit beschäftigt.
Daneben war und bin ich leidenschaftlicher Basketballer und hatte somit Gelegenheit, die Leidenschaft mit meinem Beruf zu verbinden. Der Sport hat so viele Facetten, die rechtlich relevant sind. Denken Sie nur an vereinsrechtliche Regelwerke, die Ausgliederung von Profisportmannschaften in Kapitalgesellschaften, TV- und Sponsoringverträge, Spielerverträge, Spielmanipulation, Sportwetten… diese Vielseitigkeit macht für mich den Reiz des Sportrechts aus.

Lassen Sie uns zunächst über das Sportrecht sprechen. Was verbirgt sich hinter dem Begriff Sportrecht eigentlich?

Dr. Dirk-Reiner MartensDie Materie Sportrecht wird weitgehend unterschätzt: Nur wenige können sich unter diesem Begriff etwas vorstellen und sind in der Lage zu erkennen, dass es sich um eine Querschnittsmaterie mit Berührung zu fast allen Bereichen des Rechts handelt.
Wenn man das Sportrecht so wie wir begreift, dann umfasst es vom Strafrecht zum Zivilrecht, vom Steuerrecht zum Gesellschaftsrecht, vom Vereinsrecht zum Kartellrecht und vielen weiteren Bereichen ein unglaublich weites Spektrum an juristischen Problemen.
Ich würde sagen, dass man in diesem Bereich ganz besonders die Fähigkeit besitzen muss, schnell und spontan auf die Herausforderungen in sehr vielen Bereichen des Rechts reagieren zu können.

Ist eine Spezialisierung im heutigen Rechtsmarkt nicht mit einem hohen Risiko für eine Kanzlei verbunden? Große Kanzleien versuchen doch eher, ihren Mandanten einen Full Service über alle Rechtsgebiete hinweg zu bieten…

Dr. Dirk-Reiner MartensNatürlich ist im Bereich des Sportrechts der Kreis der potentiellen Mandanten viel kleiner als im so genannten Wirtschaftsrecht. Da das Sportrecht aber eine Querschnittsmaterie ist, die Berührungen zu fast allen Bereichen des Rechts aufweist, geht diese Art der Spezialisierung einher mit höchst unterschiedlichen juristischen Fragestellungen, was sehr reizvoll ist. Natürlich erkennen auch die großen Kanzleien inzwischen die Bedeutung der Rechtsmaterie Sport und können selbstverständlich den wirtschaftsrechtlichen Bereich des Sportrechts voll abdecken.
Was vielen von ihnen jedoch fehlt, ist die profunde Kenntnis der Besonderheiten des Sports. Nur wer die Eigenheiten des Sportumfelds begreift und erfahren hat, kann wirklich umfassend Rat erteilen. Diese profunde Kenntnis haben wir. Und wir haben über Jahrzehnte ein Kontaktnetzwerk aufgebaut, über welches wir eine „Full Service“-Beratung gewährleisten können. So unterhalten wir zum Beispiel Geschäftsbeziehungen zu Gutachtern, Steuerberatern, Markenrechts- und Versicherungsexperten auf der ganzen Welt.

Können Sie ein Beispiel für die rechtsgebiets- und bereichsübergreifende Tätigkeit geben?

Dr. Dirk-Reiner MartensKürzlich bekam ich von meinem langjährigsten Mandanten, einem internationalen Sportverband in der Schweiz, den Auftrag, die Implementierung einer neuen Governance des Verbandes rechtlich zu begleiten. Bei der Umsetzung mussten wir gesellschaftsrechtliche Probleme in fünf Erdteilen berücksichtigen, hinzu kam das Steuerrecht und das Gemeinnützigkeitsrecht auf diesen Kontinenten. Bei Projekten wie diesem besteht ein großer Teil unserer Tätigkeit auch darin, als Ansprechpartner und Manager der beteiligten Interessenten, wie dem Mandant und der Unternehmensberatung, zu agieren. Sehr wichtig ist auch die Kenntnis von Fremdsprachen und kulturellen Hintergründen.

Gibt es Erfahrungen, die Sie vom Sportrecht direkt auf das Wirtschaftsrecht übertragen können?

Dr. Dirk-Reiner MartensDas Verständnis für andere Kulturen und Sprachen ist eine Stärke, die man direkt in den Bereich Wirtschaft übertragen kann. Bei meiner Tätigkeit als Schiedsrichter stelle ich immer wieder fest, dass man sich nicht nur auf die Interpretation des Vertrages und der Rechtsvorschriften festlegen kann. Es ist wichtig den jeweiligen Markt und dessen Praktiken zu kennen, um eine Entscheidung fällen zu können.

Inwieweit unterscheidet sich die Arbeit eines Schiedsrichters von der eines Richters beim staatlichen Gericht?

Dr. Dirk-Reiner MartensIch war in den letzten 15 Jahren in weit mehr als 180 Fällen als Schiedsrichter tätig. Die wichtigste Fähigkeit eines Schiedsrichters besteht darin, ein Verfahren effizient und schnell zu Ende zu führen. Natürlich spielen Rechtskenntnisse eine wesentliche Rolle, aber gerade in bedeutenden wirtschaftsrechtlichen Schiedsverfahren werden die Rechtsfragen von den jeweiligen Parteivertretern in allen Einzelheiten aufgearbeitet, so dass sich der Schiedsrichter nur noch entscheiden muss, welcher der unterschiedlichen Meinungen er folgen will.
Im Vergleich zum Richter eines Staatsgerichts verfügt der Schiedsrichter über ein erheblich höheres Maß an Flexibilität in der Verfahrensführung. Auch wenn die meisten Schiedsverfahren nach einer Schiedsordnung durchgeführt werden, bleibt doch für den Schiedsrichter Raum für Kreativität und innovative Lösungen.

Sie sind der Erfinder des Basketball Arbitral Tribunal (BAT), das von Ihrer Kanzlei verwaltet wird und mit 150 neuen Fällen pro Jahr das weltweit zweitgrößte Sportschiedsgericht ist.

Dr. Dirk-Reiner MartensAuslöser für die Schaffung des BAT-Schiedsgerichts, das seinerzeit noch „FIBA Arbitral Tribunal“ genannt wurde, war ein Treffen mit Spieleragenten im Jahre 2007. Die Agenten hatten den Wunsch nach einem Streitbeilegungsmechanismus, der die Parteien von Spielerverträgen zur Einhaltung eben dieser Verträge anhält. Der Weg vor die staatlichen Gerichte nämlich bedeutete für die Parteien sehr lange und kostenintensive Verfahren. Zur Lösung dieses Problems mussten wir neue Wege beschreiten. Das heutige „Basketball Arbitral Tribunal“ ist in hohem Maße computergestützt, arbeitet nur mit Einzelschiedsrichtern und entscheidet nicht auf der Grundlage einer staatlichen Rechtsordnung, sondern ex aequo et bono, also auf der Grundlage von Fairness und Gerechtigkeit. Gerade für den „ex aequo et bono“-Gedanken gab es kaum Vorbilder in der Welt der Schiedsgerichte und dennoch hat er wesentlich zum überragenden Erfolg des BAT beigetragen. Auch wenn die eine oder andere Partei mit dem Ausgang eines Schiedsverfahrens beim BAT nicht immer zufrieden ist, so wird doch überwiegend anerkannt, dass der BAT den gesamten Spielermarkt in Europa und darüber hinaus revolutioniert und somit eine echte Lex Sportiva geschaffen hat.

Der überwältigende Erfolg des BAT hat uns sogar veranlasst, im September 2015 ein Handelsschiedsgerichts nach dem Vorbild des BAT zu gründen, den Court of Innovative Arbitration (COIA).

Welchen Vorteil hat ein solches Handeslschiedsgerichts nach dem Vorbild des BAT?

Dr. Dirk-Reiner MartensEin COIA Schiedsverfahren ist aufgrund der Anwendung des ex aequo et bono-Prinzips nicht nur schneller und günstiger als die etablierten Verfahren, es kann auch Komplikationen vermeiden, die durch die Anwendung ausländischen Rechts entstehen würden.
Dass der Einzelschiedsrichter gerade in sehr großen Handelsschiedsverfahren oft nicht die richtige Antwort ist, liegt auf der Hand. Dennoch gibt es eine sehr große Anzahl von Fällen, die bei einem COIA Verfahren besser aufgehoben wären als bei staatlichen Gerichten oder den traditionellen Schiedsgerichten.

Sie organisieren regelmäßig Mandantenveranstaltungen. Für eine Kanzlei Ihrer Größe ist das doch eher ungewöhnlich…

Dr. Dirk-Reiner MartensZu Beginn meiner beruflichen Karriere habe ich von meinem Seniorsozius gelernt, dass man sich als Anwalt seriös zurückzuhalten habe und dass bei qualitativ hoch stehender Arbeit die Mandate von selbst in der Kanzlei landen. Dies gilt heute nicht mehr. Ohne aktives Marketing kommt man selbst im Nischenmarkt für Sportrecht und Streitbeilegung nicht mehr aus. Die Mandantenveranstaltungen organisieren wir aber auch, um unseren Kontakten Know-how zu vermitteln und eine Plattform zum Netzwerken zu bieten. Der Markt ist schnelllebig und auch wir sind am Dialog mit unseren Kontakten interessiert, um den bestmöglichen Service bieten zu können und Anregungen für neue Projekte zu erhalten. Wir haben dies sehr erfolgreich in den vergangenen Jahren getan, zum Beispiel beim Anti-Doping-Forum in Berlin im Jahr 2009 oder 2012 beim Seminar „Streit im Sport“ in der Allianz Arena in München. Wir werden auch weiterhin derartige Veranstaltungen anbieten. Im Übrigen geben wir auch Workshops im Ausland, so wie vor kurzem beim Fußballverband von Aserbaidschan in Baku.